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Hydra - Blog

Süßwasserpolypen als Haustiere




Chronologischer Bericht über den Verlauf eines kleinen Zieraquariums,
das ausschließlich mit Hydra besetzt ist.



Gefunden hab ich die Hydra im Ingolstädter Hirschweiher. Der ist ziemlich versteckt, und nur wenige kennen ihn. Das liegt zum einen daran, dass er von manchen als FKK-Gebiet verwendet wird, zum anderen tummeln sich am Südufer manchmal Schwule, die auf ihren Streifzügen durch die Natur ein Netz von Gängen und Nischen in die Büsche getreten haben. So sagen also die meisten, sie kennen ihn nicht. Und besuchen ihn auch nicht. Nachdem die Ruhe ist dort am schnellsten weg ist, wo die meisten Leute sie suchen ist der Hirschweiher - fernab von Handygebimmele und Grilltumulten - einer der friedlichsten und lauschigsten Orte in der ganzen Ingolstädter Umgebung.

Als ich am Beginn meines praktischen Interesses an der Gewässerbiologie per Fahrrad von Baggersee zu Baggersee fuhr, um verschiedene Proben zu nehmen, hatte ich mir eigentlich am meisten von Auwaldsee versprochen, einem kleinen Naherholungsgebiet im Süden. Er war verschrieen als Ingolstadts dreckigstes Loch, Babykacke inbegriffen, sprich: Eine Fundgrube für den Mikroskopiker. Das stimmte aber ganz und gar nicht. Babykacke war keineswegs zu entdecken, dafür aber eine Reihe interessanter Mikroorganismen - die in ihrer Gesamtheit eher für ein sauberes, sauerstoffreiches Gew&suml;sser sprechen. Der Hirschweiher mit seinem FKK - Ufer übertrifft ihn an Verschmutzung bei weitem. (Sogar die Hüpferlinge dort hatten Pilzbefall.)

Hier, am Ingolstädter Hischweiher, fand ich die Hydra vulgaris; ich hatte ein Exemplar versehentlich in einer Probe in einer leeren Colaflasche mit nach Hause gebracht. Von ihrer Anmut und Eleganz angetan beschloß ich, diesen Organismus zu behalten und weiter zu pflegen.

Als Behälter dient eine Ziervase vom Dehner, die wegen eines winzigen Kratzers auf 5 Euro reduziert war.


Hydra.








23. Mai 2010, Pfingstsonntag - Die Hydra eingesetzt in ihr neues Zuhause



Hydra.



Ein bisschen verdattert und derangiert sieht sie schon aus, aber sie wird sich bald erholen. Das Wasser in dem Gefäß ist zu einem Fünftel Fundortwasser, es enthält alle Kleinlebewesen, die auch in der natürlichen Lebensumwelt der Hydra vorkommen. Der Rest ist abgestandenes Leitungswasser.


Hydra.



Gefüttert wird sie von mir mit regelmäßigen aber sparsamen Portionen von Artemia, die ich in einer Aufzuchtschale ausbrüte. Gefüttert wird täglich oder alle zwei Tage, je nach Nachschubrhythmus. Dabei bleiben jedesmal etwa 5 kleine Artemien an der Hydra hängen.


Hydra. Hydra.








28. Mai - Nachwuchs



Hydra.



Eine Woche Intensivfütterung bringt den ersten Erfolg: Die erste vegetative Vermehrung.







2 . Juni 2010 - der erste Nachwuchs hat sich abgeschnürt und ist selbständig



Hydra.


Das Foto enstand quer durch das Zieraquarium. Ich versuchte, die vergrößernde Linsenwirkung des kelchförmigen Aquariums zu nutzen. Die Wasserqualität wird spürbar schlechter; an einzelnen Stellen flockt weißes Material aus, vermutlich Pilzgeflecht oder Bakterien, die sich über die Artemialeichen hermachen, die am Bodengrund liegen. Diese lagern sich am der Glasoberfläche ab und bilden einen leicht trüben Schleier.







7 .Juni - Nun sind es 5 Individuen im Glas



Hydra.








14. Juni - Die Population nimmt Fahrt auf



Der Wasserwechsel wird jetzt wöchentlich; Ich spiele mit dem Gedanken, Paramecien einzusetzen. Als Schmutzverzehrer und Futtertiere. Die ersten Ableger haben ihrerseits wieder Ableger bekommen. Jetzt sind es insgesamt neun Individuen. Außerdem vergrößert sich immer mehr diese wattige weißliche Schicht auf die Glasinnenseite, die aus abgestorbenen Artemia und ihren Nutzniessern besteht. Sie lässt sich relativ leicht ablösen, schwimmt dann unter der Wasseroberfläche und sieht einer verwirbelten Kahmhaut ähnlich.


Hydra.



Irgendwann - so hoffe ich - ist das Glas so voll mit Hydra, dass sich kein Artemia mehr einem sinnlosen Tod sterben wird.





2. Juli - Die Hitzewelle



Die Hitzewelle der letzten Tage - 37°C tagsüber und 27°C nachts hat alle 18 Hydra aufgelöst. In freier Natur hätten sie sich ins tiefere Wasser zurückziehen können. Zwei von ihnen wieder gefunden, aber es ist unklar ob sie zum weiterleben fit genug sind. Vermutlich werden sie die kommenden Tage nicht mehr erleben.

Ich muss von vorne anfangen.







5. Juli - NEUANFANG IM BIOTOP



Hydra. Hydra.



Also nochmals raus zum Ingolstädter Hirschweiher! An die gleiche Stelle wie vorher. Es ist weniger schwierig, eine Hydra zu finden, denn die gibt es sehr häufig dort, sondern eher nur eine von ihnen in eine Colaflasche einzusaugen um sie mit nach Hause mitzunehmen.

Diesmal verwende ich zu 100% Fundortwasser. Ich versprechen mir davon eine abwechslungsreichere Ernährung der Hydren. Außerdem ist oft in der Literatur zu lesen, die Hydren ernährten sich vor allem von Einzellern. Mit den Einzellern im Fundortwasser bekommen die Hydra dann vielleicht Nährstoffe, die sie bei einer Fütterung ausschließlich mit Artemia vermissen würden.







18. Juli - Im Fundortwasser



Das Fundortwasser ist ein Erfolg! Allerdings sind es nicht die Einzeller, die den Erfolg ausmachen sondern mitgefangene Wasserflöhe. Die Hydra frisst ordentlich und wird gelegentlich mit Artemia zusätzlich gefüttert. Täglich fängt sie sich einige Wasserflöhe.


Hydra. Hydra.



Links: Manchmal bleibt auch eine rote Wassermilbe an den Fangarmen hängen, meist kann sie sich aber nach einer Schrecksekunde und kurzem Kampf wieder befreien. Auch Muschelschaler haben eine reelle Chanche, der Hydra zu entkommen. Rechts: Merkwürdige Reflexionen im Behälter, die hutförmige Beleuchtung, eine Schreibtischlampe, die oberhalb des Behälters angebracht ist, scheint sich darinnen zu befinden. Darunter die gleiche Beleuchtung nochmals, von der Unterseite gesehen. (Ich glaube auch zwei oder drei Reflexionen des Fotoapparaates zu erkennen, die Dritte Reflexion zeigt ein Display, also wie es scheint von der Hinterseite.)

Gut sichtbar auch die zahllosen Kleinlebewesen, aus denen die Hydra fischen.







25. Juli - Jagdszenen aus dem Hydraglas



Hydra. Hydra.








1. August - Bruderzwist



Hydra.



Das ist der Nachteil einer dichten Population - und sie ist mir noch lange nicht dicht genug, eigentlich will ich einen dichten Rasen. Trotzdem ergeben sich häufig solche Bilder. Gut, die beiden ziehen mit gleichen Kräften, wie zwei Katzenjunge, die sich beide in die gleiche Maus verbissen haben, die ihnen die Katzenmutter gebracht hat. (Das gibts tatsächlich und lässt sich gut mit einer stabilen Schere lösen.) Hier aber löst sich der Knäuel früher oder später von selber, das ist eine Frage von einigen Minuten, und teilt sich in zwei Hälften. Die beiden Hydren fressen sich also nicht gegenseitig auf.







8. August - Die Zahl der Hydren steigt auf auf 8



Überhaupt, die Vermehrung kommt wieder in Gang, seitdem die Hitzewelle vorüber ist. Andererseits ist das meiste Plankton mittlerweile gestorben, lediglich einige Hüpferlinge, etliche Planarien und Glasstabmückenlarven (Chaoborus) haben bis jetzt mitgemacht. Die Glasstabmückenlarven fressen übrigens auch Artemia.

Weiterhin ist zu bemerken daß dieser weißliche Detritus, der sich im Vorgängerglas in Unmengen gebildet hat, nun fast gar nicht und, wenn doch, in anderer Form zutage tritt; Gelegentlich schwimmt eine Kahmhaut an der Oberfäche, die mit einer Pipette leicht zu entfernen ist.


Hydra.



Was ich erreichen will bis Herbst ist ein dichter Rasen aus Hydra, ein Glas, in dem kein Artemianauplius mehr einen sinnlosen Tod stirbt.







15. August - 14 Hydren



14 Hydren, und praktisch jede hat ein Baby in der "Achselhöhle".. Die Vermehrungsrallye ist in vollem Gang.


Hydra. Hydra.



Ich bin mir nicht sicher was die Hydra genau gefressen hat - jedenfalls war es richtig viel. Vielleicht einen Brocken einer Kahmhaut. Einige Minuten später hat sie das ganze auch wieder ausgespuckt und hing recht schlapp und ziemlich fertig an der Glaswand.







22. August - die Zahl steigt auf 41



Damit ist wohl nun der exponentielle Teil der Kurve erreicht. Eigentlich hatte ich eigentlich eher die Befürchtung, die Tiere würden in ihrer Vermehrung stagnieren - wegen Urlaub fällt die Fütterung für vier Tage aus. Tatsächlich aber hat sich ihr Zahl innerhalb einer Woche fast verdreifacht.

Hydra.


Im Foto: Netter Vesuch. Verfütterung eines frisch geschlüpften Heimchens. Aber die Hydra hat es irgendwann wieder fallen lassen, ohne Fressen. Gut zu sehen auch im Bild: Die Geschlechtsknospen, die am Hydrakörper wie Warzen aussehen.

Eine Verfütterung von großen Pantoffeltierchen (P. caudatum) ist nicht gut verlaufen: Statt die großen Einzeller zu fangen ziehen die Hydren lieber ihre Tentakel ein und drehen sich sogar weg - ich vermute dass ihnen der Abwehrmechanismus der Pantoffeltiere, die bei Feindberührung zahlreiche kleine, dünne Lanzen ausstoßen (Trichocysten), den Appetit verdirbt.







29. August - Fressversuch 1



Hydra. Hydra.


Hydra. Hydra.



Im Versuch wurde eine rote Mückenlarve zum Verzehr angeboten. Tatsächlich brachte ich aber die arme Hydra, getrieben von ihrer Fresslust, an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Einzelne Szenen aus diesem Vorgang hätten sicher eine inspirierende Wirkung auf einen ScienceFiction-Splatter-Specialeffects-Designer. Kurz und gut: Nach 20 Minuten des Geiferns und Würgens spuckte die Hydra die Chironomuslarve erschöpft wieder aus. Die Hydra sah danach aus wie ein überdehnter Luftballon, die Mückenlarve hat das alles nicht überlebt.







5. September - Fressversuch 2



Hydra. Hydra.


Hydra. Hydra.



Im zweiten Versuch wird etwas weicheres verfüttert: Ein Tubifex. Tatsächlich schafft es die Hydra dieses Mal! Der Tubifexwurm wird nach und nach verschlungen. Tags danach ist der hämoglobinhaltige Farbstoff der Wurmes, der nun auf den Hydrakörper übergegangen ist, noch gut zu sehen. Die stäbchenförmigen Organismen rings um die Hydra sind neuerdings Pantoffeltierchen, Zeichen einer sich stets ändernden Spektrums am Kleinlebewesen. Ihretwegen muss ich nun deutlich öfter einen Wasserwechsel durchführen.







12. September - Schädlingsinvasion!



Hydra.



Natürlich hat das Artenspektrum an Kleinlebewesen sich seit Beginn stets verengt, und einseitige Ausschläge, beispielsweise das vermehrte Auftreten des Pantoffeltierchens seit zwei Wochen sind normal in einem System, dass so klein ist wie eine Ziervase vom Dehner. Trotzdem fand ich es schon sehr erstaunlich, als quasi über Nacht sich so ein Befall einstellte. In regelrechten Schlieren floss Material von den Hydra abwärts, die sich ihrerseits aufzulösen schienen.


Hydra.



Unter dem Mikroskop war der Schädling einigermaßen zu identifizieren: Ein Einzeller, der in Myriaden die Hydra umschwirrte.


Hydra.



Vermutlich eine Schalenamöbe oder eher ein beschaltes Wimpertierchen, das sich am Körper der Hydra gütlich tut, ohne von deren Nesseln überhaupt Notitz zu nehmen. Schon vor Wochen hatte ich es mal kurz vor der Mikroskoplinse, aber in der geringen Zahl die damals vorhanden war, stellte die Art keine Gefahr dar.

Was bleibt, ist ein sofortiger, zweimaliger gründlicher Wasserwechsel, der alles möglichst schnell wieder ins Lot bringt.







18. September: Das Glas ist voll.



Hydra.



Ich bin zufrieden. Die Zahl der Hydren ist unüberschaubar groß geworden, und hab ich anfangs die Hydren noch einzeln mit Artemia versorgt, so spüle ich nun mit der Pipette die Artemia nur noch in Richtung der größten Hydraballungen. Der ultradichte, quasi englische Rasen, der mir vorschwebte, ist es nicht geworden, aber da die Hydra keinen Instinkt besitzen, ihre Körper synchron auszurichten, würden sie sich dann auch heillos verheddern.







FAZIT
  • Eine Alleinfütterung mit Artemia ist gut möglich.
  • Einzeller wie Pantoffeltierchen zählen nicht zu den bevorzugten Beutetieren.
  • Zum Bestandserhalt ohne Vermehrung genügt eine kräftige Artemia-Fütterung pro Woche.
  • Wasserwechsel einmal wöchentlich ist ratsam. Eine Flutsch-Bremse ist sehr vorteilhaft.
  • Temperaturen nicht über 35°C, besser unter 30°C.
  • Eine Population, die so sicht steht wie die Fichten im Schwarzwald, ist kaum machbar.
  • Für Fütterungsversuche mit z.B. Drosophila oder diverse andere kleine Tiere gut geeignet.
  • Am stabilsten und pflegeleichtesten (wenig Ablagerung; längere, unregelmäßige Intervalle mit Artemiafütterung möglich) ist ein Behälter mit vielen Kleinlebewesen, insbesondere Wasserflöhen als natürliche Grundversorgung und Abfallverwertung.





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