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Brachionus plicatilis - Salzwasser-Rädertierchen



Brachionus plicatilis.
Brachionus plicatilis







Einordnung



Brachionus plicatilis ist ein typischer Vertreter aus dem Stamm der Rädertierchen (Rotatoria, Rotifer). Rädertierchen sind die kleinsten vielzelligen Tiere, sie erreichen Körpergrößen von 0,1 bis 2,5 mm. Der überwiegende Teil der Arten lebt im Süßwasser; von den etwa 2000 bekannten Arten leben nur 5 bis 10 % in Meer- oder Brackwasser. Die Zahlen sind ungenau, da immer wieder neue Arten gefunden werden und sich die Einteilung der Arten ändert, so dass zwei verschiedene Arten als identisch erkannt werden oder umgekehrt,.


Die Vielgestaltigkeit von Rädertierchen lässt sich auf einen prinzipiellen Bauplan reduzieren:

  • Das charakteristische Räderorgan, das aus einem inneren und einem äußeren Wimpernkranz besteht und namensgebend ist. ("Rotifer": Radträger). Das Räderorgan rotiert allerdings nicht; vielmehr schlagen die darauf befindlichen Wimpern nacheinander in schneller Abfolge (etwa wie eine Laola in einem Stadion). Die Bewegung ist so schnell, dass die frühen, namensgebenden Forscher und Mikroskopiker diesem Trugschluss unterlagen. Das Räderorgan dient der Fortbewegung und dem Nahrungserwerb und kann in den Rumpf eingezogen werden.


  • Der Rumpf besteht aus einem unterschiedlich harten Panzer, der bei freilebenden Arten eher sackförmig-kompakt, bei Oberflächenbewohnern eher langgestreckt gebaut ist. Typisch ist der Kaumagen ( = Mastax, Kauer).


  • Der Fuß, der in paarigen Zehen ausläuft und mit Klebedrüsen versehen ist, die der Anhaftung an den Grund dienen. Beim freien Schwimmen dient er als Ruder, während das Räderorgan den Vortrieb bewerkstelligt.



Aufgrund ihrer Kleinheit können sich Rädertierchen leicht weiterverbreiten, z.B. im Gefieder von Wasservögeln. Sie treten daher generell als Kosmopolit auf, d.h. immer dort wo sie geeignete Lebensbedingungen vorfinden sind sie auch anzutreffen.

Innerhalb des Stammes der Rädertierchen gehören Brachionus plicatilis zum Unterstamm Monogononta, deren charakteristischen Merkmal ein unpaariger Eierstock ist.






Die Gruppen Monogononta, Bdelloidea und - wegen ihrer geringen Artenzahl weniger wichtig - Seisonideae bilden den Stamm der Rädertierchen. (Von den Seisonideae sind bisher nur zwei oder drei Arten bekannt, die in den Kiemenspalten eines marinen Krebses leben.)

Die parasitischen Kratzwürmer wurden lange Zeit als eigener Stamm neben dem Stamm der Rädertiere gesehen. Untersuchungen zum Aufbau der DNS (bzw. eines Teils der ribosomalen RNS) legen jedoch nahe, dass es sich um abgeleitete, also entfernte Verwandte der Rädertierchen, vermutlich der Bdelloidae, handelt.

Um den fraglichen Verwandschaftsgrad zu den Kratzwürmern zu verdeutlichen, wurde in obiger Grafik das Taxon (= Gruppe) "Rädertierchen" weggelassen. Ausgehend von genau dieser Gruppe ergibt sich folgende Hierarchie:

  • (Stamm) Rädertierchen =Rotatorien = Rotifer

    • (Unterklasse) Monogononta

      • (Ordnung) Ploimida

        • (Familie) Brachionidae

          • (Gattung) Brachionus


Süßwasserrädertiere besiedeln alle denkbaren Lebensräume. Große Seen gehören genauso zu ihrem Lebensraum wie kleinste Pfützen, wie etwa in von Reifenspuren stammenden Vertiefungen in Feldwegen in denen sich Regenwasser sammelt. Manche Arten besiedeln feuchte Moose oder nasses Erdreich.

Brachionus plicatilis besiedelt vorwiegend salzige Binnenseen und Brackwasser, wobei die Art relativ weite Schwankungen im Salzgehalt verträgt, auch wenn ein klares Ideal von 20 bis 40 g/Liter auszumachen ist.




Geschichte



Brachionus plicatilis. Dunkelfeld.
Bracionus plicatilis
im Dunkelfeld.
In den 50er und 60er Jahren wurde Brachionus als massenhaft auftretender Schädling in japanischen Teichkulturen in der Aalzucht entdeckt. Dabei verzehrte das Rädertier die Schwebealgen und verbrauchten den gelösten Sauerstoff, so dass die Aal-Larven verendeten. Bald erkannte man, dass Brachionus als Erstfutter für die Larven mariner Fische dienen kann (Ito, 1960). Da damit die Zucht von Fischen möglich wurde, die sonst nur als ausgewachse Exemplare aus dem Meer gefangen werden konnten, boten sich große wirtschaftliche Chanchen. Erstmals gelang dies mit der Zucht einer Meerbrasse (Pagrus major), einer hochpreisigen japanischen Delikatesse.

Spätestens seit den 90er Jahren ist die Zucht von Brachionus weltweit verbreitet und gut erforscht. Mindestens 60 marine Fischarten und etwa 18 Krustentierarten werden in der industriellen Fischzucht anfänglich mit Brachionus ernährt (Dhert, 1996) , wie z.B. der Steinbutt, Seezunge oder verschiedene Meerbrassen wie die Goldbrasse.

Seine geringe Größe und die relativ langsame Fortbewegungsgeschwindigkeit machen es zur geeigneten Beute von besonders kleinen Fischlarven, die nach dem Aufbrauchen ihres Dotters noch keine Artemia-Nauplien erbeuten können.

Die Zucht dieses robusten Organismus ist relativ einfach, hohe Vermehrungsraten und große Individuendichten machen ihn wirtschaftlich interessant für die Zucht in großtechnischen Bioreaktoren von etlichen tausend Litern Inhalt.

Brachionus lässt sich gut als "Container" verwenden: An sich nährstoffarm lässt sich Brachionus mit bestimmten Futterpartikeln anfüttern, um einen bestimmten Nährstoffgehalt und -zusammensetzung zu erreichen. (Brachionus filtriert weitgehend unspezifisch.) Auch Medikamente, auf geeigneten Trägerpartikeln aufgebracht, können so gezielt an Fischlarven verfüttert werden, ohne das Wasser insgesamt zu belasten.

Aufgrund hoher hygienischer Anforderungen bei der Aufzucht von Fischlarven spielt der Fang von Brachionus aus Salzseen o.ä. praktisch keine Rolle.




Körperbau






Kennzeichnendes Bauteil dieser Tiere ist ihr Räderorgan. Es ist auf dicken Epidermispolstern aufgesetzt und besteht aus zwei Zonen: Das innnen gelegene Buccalfeld führt zum Mund in das Körperinnere. Es wird umgeben von einem Kranz aus äußeren Wimpern, dem Circumapikalband. Zahlreiche Varianten dieses immer gleichen Bauprinzips lassen viele unterschiedlich aussehende, arttypische Räderorgane entstehen. Das Räderorgan dient der Erzeugung von Wasserwirbeln zum Mund hin zum Zweck der Nahrungsaufnahme und der Fortbewegung. Es kann durch Längsmuskeln praktisch vollständig in das Körperinnere eingezogen werden.

Der Verdauungsapparat besteht zunächst aus der Mundöffnung, durch die über den Schlund die Nahrung in den Kaumagen gelangt. Dieses Organ übernimmt dir Funktion von Kiefern, indem es die Nahrung zerkleinert. Es besteht aus drei Paaren von kleinen kalkhaltigen Hartteilen (Trophi), die gegeneinander arbeiten und so die Nahrung zerreiben und der Verdauung zugänglich machen. Über die Speiseröhre (Oesophagus) gelangt die zerkleinerte Nahrung in den Magen, in den auch die beiden Magendrüsen münden. Alle Verdauungskanäle sind innenseitig bewimpert. (Insbesondere die Speiseröhre zeigt auch ohne Nahrungsinhalt eine lebhafte, gut sichtbare Wellenbewegung. Nach der Verdauung im Darmtrakt (Intestinum) verlässt die Nahrung den Körper über den After, der sich am Fußansatz befindet.

Der Fuß dient zum Festhalten auf Grund und der Steuerung beim aktiven Schwimmen. Er kann, wie das Räderorgan, vollständig eingezogen werden. Am Fußansatz befindliche Drüsen erzeigen ein klebriges Sekret, das den Fuß an den Grund heftet. Ein anderes Sekret wirkt als Gegenspieler und bewirkt die Loslösung.

Brachionus plicatilis verfügt über ein primitives, orangenfarbenes Auge, mit dem nur Hell / Dunkel - Unterschiede wahrzunehmen sind. Es befindet sich am hinteren Rand des Gehirns.

Durch den Körper zieht sich ein System von mehreren Kanälen, die der Ableitung von Schadstoffen dienen. Es ist vermutlich der entwicklungsgeschichtliche Vorläufer der Niere (gr. "nephros"), zumindest erfüllt es bereits diese Funktion, daher der Name Protonephridion. Diese Kanäle beginnen mit einer Termialzelle, die mit einer Wimper eine Strudelbewegung erzeugen, die Körperflüssigkeit in den Kanal einstrudelt. Über verschiedene Mechanismen (Gitter etc.) werden Stoffe, die der Körper noch braucht abfiltriert und zurückgehalten. Das filtrierte Körperwasser mündet in die Harnblase.

Die Haut (Lorica) von Brachionus plicatilis wird durch einen Zellverband gebildet, deren einzelne Zellen keine Zellwände mehr besitzen und die so in einer Masse mit vielen Zellkörpern aufgegangen sind (Syncyticum). Ihnen aufgelagert ist eine Schicht, in der keratinähnliche Proteine eingelagert sind; sie führen je nach Dichte der Einlagerung zu einer elastischen oder spröden, stabilen Außenhaut. Am Räderorgan läuft die Lorica in sechs Zacken aus. Häutungen zum Wachstum erfolgen nicht. Die Haut ist wasserundurchlässig.

Ein Blutgefäßsystem fehlt, ebenso ein aktives Atmungssystem; der Stofftransport geschieht vor allem über Diffusion.

Brachionus plicatilis. Eingezogenes Räderorgan.
Brachionus plicatilis:
Eingezogenes Räderorgan.
Brachionus plicatilis ist zellkonstant; nach den Schlupf aus dem Ei teilen sich keine Zellen mehr. Wachstum wird durch Vergrößerung der Zellen bei gleichbleibender Anzahl erzielt. Dadurch bedingt ist eine Regenerationsfähigkeit beschädigter Körperteile nicht vorhanden - angesichts der Vermehrungsraten ist das nur ein kleiner Nachteil.

Größe und Form können variieren; mitunter ist eine Form auf ein bestimmten Verbreitungsgebiet beschränkt und erscheint fälschlicherweise als eigene Art. Auch kommen Variationen im jahreszeitlichen Rhythmus vor. Brachionus plicatilis variiert die Körperlänge um bis zu 10 % in Abhängigkeit zum Salzgehalt. Bekannt ist auch dass manche Arten (ähnlich wie manche Wasserflöhe) auf Fressfeinde mit Veränderungen im Körperbau reagieren. Im Süßwasser lebende Brachionus reagieren auf typische Ausscheidungsprodukte ihres Fressfeindes Asplancha (ebenfalls ein Rädertierchen) mit der Bildung eines langen Dornes in der nächsten Generation, der vor dem Fressfeind schützen soll.

Die Lebensdauer eines Brachionus-Rädertierchens wird bei 25°C auf 4 bis 7 Tage geschätzt.




Fortpflanzung



Brachionus plicatilis. Weibchen mit Ei.
Bracionus plicatilis
Weibchen mit Ei.
Brachionus plicatilis pflanzt sich meist über Jungfernzeugung (Parthenogenese) fort. Dabei besteht die gesamte Population aus Weibchen, die ausschließlich genetisch identische Töchter hervorbringen. Eine sexuelle Durchmischung des Erbguts findet dabei nicht statt. Dabei besitzen alle Weibchen einen "normalen", doppelten Chromosomensatz, der unverändert auf das Tochtertier weitervererbt wird.

Das ist typisch und der Regelfall für Rädertierchen. In der Gruppe der Bdelloidea, einer anderen großen Gruppe von Rädertierchen treten überhaupt keine Männchen mehr auf.

Eine solche Population besteht aus amiktischen Weibchen (amiktisch = sich nicht durchmischend). Veränderte Umweltbedingungen wie besonders viel oder besonders wenig Nahrung, Änderungen im Salzgehalt etc. oder hohe Individuendichten (so wie vermutlich bei B. plicatilis) führen dazu, dass amiktische Weibchen plötzlich miktische Weibchen hervorbringen, die zwar selbst noch über einen doppelten (diploiden) Satz an Chromosomen verfügen, aber Eier erzeugen, die nur noch einen einfachen (haploiden) Chromosomensatz aufweisen.

Diese Bündel an Reizen bezeichnet man als Mixis - Signal.

Brachionus plicatilis. Ei.
Dauereier.
Dotter gut sichtbar.
Aus solchen (unbefruchteten) Eiern schlüpfen nun Männchen. Sie sind deutlich kleiner und alles an ihnen ist zugunsten der Fortpflanzungsorgane zurückgebildet. Diese Männchen begatten nun die miktischen Weibchen und befruchten ihre Eizellen. Das bewirkt, dass der einfache (haploide) Chromosomensatz der Eizellen der miktischen Weibchen zusammen mit dem eingenen einfachen Satz wieder einen doppelten Chromosomensatz ergibt. Damit ist die sexuelle Fortpflanzung im Sinne einer Durchmischung des Erbgutes vollzogen.

Aus den befruchteten Eizellen, die nun das Erbgut der miktischen Weibchen und der Männchens tragen, entstehen Dauereier. Schlüpfen sie, so entstehen aus ihnen wieder amiktische Weibchen.

Brachionus plicatilis. Ei.
Ei, am
Entwicklungsbeginn.
Miktische und amiktische Weibchen sind äußerlich nicht zu unterscheiden. Lediglich der Feinbau der Eierstöcke ist unterschiedlich. Amiktische Weibchen können grundsätzlich nicht befruchtet werden.

Dauereier besitzen im Unterschied zu den Subitan-Eiern viel Dotter und eine besonders dicke Schale. Vor Ablauf einer Ruhephase sind sie nicht schlupffähig; auf welche Reize hin Dauereier schlüpfen ist ein Thema, zu dem sich eine weitere Recherche in der englischsprachigen Literatur durchaus lohnen würde. Allerdings gibt es Hinweise (Pourriot, 1990), dass die gegenteiligen Reize, die zur Bildung des miktischen Zyklus führen die Dauereier nach Ablauf ihrer Ruhephase von ein bis 6 Monaten (Nipkow, 1961) zum Schlupf bringen; mehr Licht, sehr geringe Populationsdichte, eine Erhöhung der Temperatur und ein Absenken des Salzgehaltes auf 1,2% bis 1,5% sollen förderliche Reize darstellen.






Der einfache ( haploide) Chromosomensatz wird als "n", der doppelte (diploide) Satz als "2n" bezeichnet. Das bezieht sich - wie aus der Grafik ersichtlich - stets auf den Chromosomensatz des Eis (bzw. Spermiums), nicht des Muttertieres.




Zucht



Ernährung
Brachionus plicatilis. Population im Gurkenglas.
Dichte Population in
einem Gurkenglas.
Brachionus ist ein unspezifischer Filtrierer, d.h. er filtert alles was in etwa die Größe von 1-20 oder optimalerweise 1 - 10 Mikrometer aufweist.

Brachionus kann sowohl mit gekauftem Fertigfutter als auch mit frischer Bäckerhefe oder der Algenart Nannochloropsis salina ernährt werden.

Als Fertigfutter eignen sich Produkte wie Preis Micoplan, Culture Selco 3000, Culture Selco Plus / Protein Selco Plus, Lipovit und andere. Sie alles haben den Nachteil, auch geeignetes Bakterienfutter darzustellen. Eine Massenvermehrung von Bakterien im Kulturmedium ist daher bei großzügiger Fütterung nicht auszuschließen. Da man nie so genau weiß, welche Bakterienart man nun im Medium hat ist, auch nicht auszuschließen, dass es sich dabei um eine für Fischlarven schädliche Art handelt. Außderdem stehen sie immer in Nahrungskonkurrenz zu den Brachionus. Das gleiche wenn auch in geringerem Maße gilt für Hefefütterung.

Der Königsweg bei der Brachionuszucht ist zweifellos die Fütterung mit der Alge Nannochloropsis salina. Mit ihr steht ein robuster Organismus zur Verfügung, der einfach zu vermehren ist und als unkompliziertes Alleinfutter dient. Eine Aufwertung von Brachionus mit Hilfe von hochwertigem Futter, das dem Beutemacher von Brachionus zugute kommen soll, kann durch Produkte der Firma INVE erfolgen (z.B Culture Selco Plus etc), die sicher ausgezeichnet sind, aber auch ihren Preis haben.

Brachionus, die vorzugsweise mit Hefe ernährt werden, sollen etwas größer werden als diejenigen, die ausschließlich mit Algen gefüttert werden.

Temperatur
Brachionus verträgt einen weiten Temperaturbereich; als gut geeignet gilt 22° bis 28 °C, optimal 25°C. Eine höhere Temperatur führt natürlich zu schnellerem Stoffwechsel und schnellerer Vermehrung. Allerdings gilt das auch für alle weiteren im Kulturmedium befindlichen Organismen, des weiteren sinkt der Sauerstoffgehalt bei höheren Temperaturen. Die Gefahr des "Umkippens" steigt.

Auch bei 10°C ist Brachionus noch zur Vermehrung fähig, allerdings im Zeitlupentempo. Ab 30°C ist eine Population nicht mehr überlebensfäig.

Wie stark unterschiedliche Temperaturen die Lebensgeschwindigkeit von Brachionus beeinflussen zeigt folgende Tabelle (nach Rutner-Kolisko 1972):


Temperatur [°C] 15 20 25
Dauer der Embryonalentwicklung [Tage] 1,3 1,0 0,6
Alter bei Geschlechtsreife [Tage] 3,0 1,9 1,3
Zeitspanne zwischen zwei Eiablagen [Std.] 7,0 5,3 4,0
Nachkommen insgesamt pro Weibchen 23 23 20
Lebensdauer (Schlupf bis Tod), [Tage] 15 10 7



Brachionus reagieren wie alle Rädertierchen empfindlich auf abrupte Temperaturschwankungen.
Ein "Parken" einer Kultur zu Sicherungszwecken ist bei 15°C über längere Zeit möglich. Stoffwechsel und Vermehrung sind dabei stark reduziert. Dauereier nutzen wenig, da sie nicht zuverlässig zum Schlüpfen zu bringen sind.

Sauerstoff , Stickstoff und pH-Wert
Als Untergrenze für den Sauerstoffgehalt gilt 2 mg pro Liter. Diesen Wert unter normalen Verhältnissen zu unterschreiten ist schwierig; dazu muss wohl eine Bakterienblüte bei hohen Temperaturen und großem Nahrungsangebot (Überfütterung) stattfinden. Auch bei schwacher Belüftung sorgt die Umwälzung für einen genügenden Sauerstoffgehalt; ohne Belüftung sorgt eine große Wasseroberfläche, d.h. weite, nicht hoch gefüllte Becken, für genügend Gasaustausch.

In seinem natürlichen Vorkommen schwankt der pH-Wert um den Neutralwert; pH-Werte von 6,8 sind gemessen worden. Als Optimum wird 7,5 angegeben (Dhert, 1996); hartes Wasser ist daher wünschenswert.

Ammoniak und Ammonium stellen unterschiedlich giftige Abbauprodukte des Stickstoffstoffwechsels dar. Als Grenzwert für Ammoniak gilt 1,0 mg/Liter; das ist ein relativ hoher Wert (als Grenzwert für ein Aquarium wird z.T. 0,2 mg/l angegeben).
Verunreinigungen
Oft treten Euplotes-Arten als Kostgänger in Brachionus-Kulturen auf. Eine starke Vermehrung dieser Wimpertierchen geht meist zurück auf ungünstige Verhältnisse für die Brachionus, die sonst im Wettbewerb um Nahrung und Reproduktion die Euplotespopulation klein halten. Wer viel Geduld mitbringt, kann versuchen, aus einer mit Euplotes verunreinigte Kultur mit einer Kapillarpipette einige Brachionus-Weibchen zu ziehen, um einen reinen Ansatz zu gewinnen.

Wenn man die Brachionus als Tiger oder Löwen sehen mag, die die Steppe nach Beute durchstreifen, so mögen Euplotes die Hyänen oder Ratten sein, die hartnäckig und schwer ausrottbar sich von Resten und Hinterlassenschaften der anderen ernähren.

Salzgehalt
Brachionus zählt zu den euryhalinen Rädertierchen, d.h. sie vertragen, was den Salzgehalt betrifft, einen relativ großen Bereich (angeblich von 0,1 bis 9,7 % - ich hab das bis jetzt nicht experimentell ausprobiert; Zweifel an diesen Werten behalte ich mir vor). Das Optimum liegt bei 2,8 bis 3,5%,. Eine Erhöhung des Salzgehaltes verringert die Rate der Futteraufnahme. Am besten passt man den Salzgehalt an den der zu fütternden Fische an. Der Salzgehalt die Größe um bis zu 15 % variieren (Fukusho and Iwamoto, 1981). Dabei führt geringerer Salzgehalt zu größeren Tieren.

Ein plötzlicher Wechsel im Salzgehalt (z.B. bei der Verfütterung) kann von der zeitweiligen Einstellung der Bewegung bis hin zum Tod führen. Problematisch sind Änderungen von mehr als 0,5% des Salzgehaltes, also etwa der Wechsel von 30 g/Liter zu 35 g/Liter oder mehr.

Behälter
Eine schwache Belüftung (grobperlig, ohne Ausströmer) ist hilfreich, aber nicht nötig, sofern nicht sehr hohe Populationsdichten angestrebt werden. Die Belüftung sollte nicht die am Boden befindlichen Ablagerungen aufwirbeln, da diese Sauerstoff zehren.

Auch wenn Brachionus hell und dunkel wahrnehmen kann und anscheinend schwache positive Phototaxis zeigt (er bewegt sich zum Licht hin), ist eine Beleuchtung des Behälters nur dann zu empfehlen, wenn mit lebenden Algen gefüttert wird. Unter Lichteinfluss vermehren sich die Algen oder bleiben zumindest durch die Photosysthese nährstoffreich.

Behältergrößen vom Gurkenglasformat oder noch kleiner bis hin zur Regentonne sind möglich. Um den Salzgehalt kontrollieren zu können, empfielt es sich, den Wasserstand zu markieren, um die Verdunstung gelegentlich mit Frischwasser auszugleichen. Eine Abdeckung verringert die Verdungstung ganz erheblich.

Um höchste Populationsdichten zu erhalten sind Planktonreaktoren im Einsatz: Säulenförmige Plexiglasbehälter, die schwach belüftet werden und bequeme Ablasshähne aufweisen.

Kontinuierliche und diskontinuierliche Zucht
Brachionus plicatilis.
Kein Dauerei:
Der Dotter fehlt.
Bei der kontinuierlichen Zucht wird einen großen Behälter regelmäßig Brachionus entnommen. Impft man einen Behälter mit wenigen Individuen, die sich nach kurzer Zeit rasant vermehren, um am Maximum der Polulationsdichte alle Brachionus abzuernten, so spricht man von diskontinuierlicher Kultur. (Die diskontinuierliche Kultur hat in der Fischindustrie den Vorteil dass die Behälter regelmäßig desinfiziert werden können.)

Als bewährte Zuchtmethode empfehle ich zwei streng getrennte Behälter laufen zu lassen: Einer für Brachionus, einer für deren Nahrungsalge Nannochloropsis salina. Beide haben den gleichen Salzgehalt; beide werden regelmäßig nach einigen Wochen aufgefrischt, d.h. ein Teil des Inhalts wird in ein neues, sauberes Becken gegeben, das fehlende Volumen wird mit sauberem, abgestandenem und aufgesalzenem Wasser aufgefüllt. Je nach Bedarf mehrmals die Woche wird Nannochloropsis in den Brachionus-Behälter überführt.

Brachionus ist empfindlich gegenüber Scherkräften, wie sie bei starken Strömungen und Wasserwirbeln (z.B. in Kreiselpumpen) auftreten. In der industriellen Zucht werden daher peristaltische Pumpen verwendet. Ausgefiltert werden die Tiere mit einem Filter von 50 Mikrometern Maschenweite, der sich beim Filtern unter Wasser befinden sollte.




Verschiedene Stämme und andere Arten



Nach einer Studie aus dem Jahr 2002 (A. Gomez et al.) besteht die Population Brachionus plicatilis in Wirklichkeit aus 10 bis 14 verschiedenen Arten, die äußerlich nicht zu unterscheiden sind, die sich aber nicht wechselseitig fortpflanzen können. Es handelt sich also um eine Population aus 10 bis 14 Kryptospezies, die als Kryptospezies-Komplex zusammengefasst werden. Bezieht man sich auf die Art als Fortpflanzungsgemeinschaft (natürlich ohne genau zu wissen, welche der 10 oder 14, da die Bestimmung und Einteilung noch fehlt) so verwendet man die Bezeichnung Brachionus plicatilis s.s. (sensu stricto).

Von den grob 20 bis 30 Arten in der Brachionusgattung werden folgende in Kulturen gezüchtet:
  • Brachionus plicatilis, 300 - 340 μm
  • Brachionus ibericus, 140 - 180 μm
  • Brachionus rotundiformis, 80 - 120 µm
  • Brachionus calyciflorus, im mitteleurop. Süsswasser heimisch, 250 - 400 μm
  • Brachionus rubens, Süsswasser, 150 - 250 μm


Brachionus plicatilis. Im Dunkelfeld.
Brachionus plicatilis
von vorne
im Dunkelfeld.
Auge orange.
Einige Brachionus-Arten sind in der Biologie als Indikatororganismen beliebt, da sie teilweise empfindlich und spezifisch auf bestimmte Umweltgifte reagieren.

In der Fischwirtschaft ist die Einteilung der Brachionus-Arten in L-Typ (= B. plicatilis) und S-Typ (= Brachionus rotundiformis) üblich. Brachionus rotundiformis sieht recht ähnlich aus, ist aber mit durchschnittlich 160 Mikrometern etwas kleiner als der L-Typ und benötigt eine etwas höhere Temperatur (28 - 35 °C; vgl.: B. plicatilis: 22°C - 28°C.).

Beim L-Typ läuft der Panzer an der Vorderseite (am Räderorgan) in stumpfe Winkel, bei S-Typ in spitze Winkel aus.

Eine besonders kleine Züchtung des S-Typs ist der SS-Typ. Man verwendet ihn in der Fischzucht zur Erstfütterung besonders kleiner Larven oder für Larven mit besonders kleiner Mundöffnung wie der Zackenbarsch.

Da die Haltungsbedingungen für den SS-Typ gegenüber dem L-Typ (höhere Temperatur, höhere Salinität) und die des S-Typs gegenüber dem L-Typ (Höhere Temperatur, niedrigere Salinität) unterschiedlich sind, ist nicht klar auszumachen ob der SS-Typ als Anpassung an veränderte Umweltbedingungen automatisch aus dem S-Typ hervorgeht. Immerhin sind Rädertierchen generell in Größe und auch in einigen anatomischen Details anpassungsfähig.

Um aus einer gemischten Kulturen eine reine zu erhalten, erhöht oder senkt man die Temperatur und gibt dadurch der jeweils erwünschten Art einen Vorteil, der über kurz oder lang zum Aussterben der anderen Art im Kulturmedium führen wird.







Letzte Änderung: 24.03.2012











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